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Das Problem des freien Willens

Die Debatte um den freien Willen wird traditionell zwischen Deterministen, Libertariern und Kompatibilisten ausgetragen. Alle drei Positionen greifen jedoch zu kurz, da sie das Problem in der falschen Kategorie verorten: Sie behandeln den freien Willen als Frage äußerer Realität (deterministisch oder indeterministisch), während er in Wahrheit als innere Realität zu begreifen ist.
Freiheit und Wille sind Phänomene des inneren Erlebens, kausal wirksam wie Bewusstsein oder Gefühle, und damit real. Der freie Wille wird performativ hervorgebracht – er ist kein metaphysisches Faktum, sondern eine innere, erlebte Realität.
Dieses Verständnis hat nicht nur erkenntnistheoretische, sondern auch politische Implikationen. Die Anerkennung des freien Willens anderer ist Grundlage individueller Würde und damit Voraussetzung für den freiheitlich-säkularen Staat. Wer den Willen des Einzelnen durch Kollektivideologien (Partei, Religion, Nation) ersetzt, negiert diese Grundlage und begünstigt paternalistische oder totalitäre Strukturen. Freiheit und Würde können nur vom Individuum hervorgebracht werden, während Demokratie und Rechtsstaat institutionelle Instrumente sind, diesen Schutz zu gewährleisten.
Ergänzend wird ein mathematisch-metaphorischer Zugang entwickelt: Der Wille lässt sich als Vektor begreifen, das Bewusstsein als Tensorfeld, in dem dieser Vektor transformiert wird. Freiheit liegt nicht im Willen selbst, sondern in den vom Bewusstsein eröffneten Möglichkeitsräumen. Damit wird der freie Wille nicht als metaphysisches Rätsel, sondern als innere Realität und
politische Notwendigkeit neu bestimmt.
Hier geht es zum vollständigen Text.

Freier Wille? Frag doch die KI!

Was versteht man unter einem freien Willen?
Meistens wird darunter Indeterminiertheit verstanden - das bedeutet: Ich kann mich so oder so entscheiden, ohne dass die jeweilige Entscheidung vorherbestimmt wäre. Diese Indeterminiertheit scheint jedoch an eine Form von Bewusstsein gekoppelt zu sein. Einem radioaktiven Nuklid wird keine Willensfreiheit zugeschrieben, obwohl sein Zerfall indeterminiert ist. Doch was ist Bewusstsein? Alle Menschen, die bei Bewusstsein sind, wissen es und doch können sie nicht sagen, was das Bewusstsein eigentlich ist. Es ist eine innere Erfahrung. Alle wissen z. B. was Liebe, Hass usw. sind und doch greifen alle Definitionen dieser Gefühle zu kurz. Bewusstsein ist ein Zustand, der erlebt werden muss, um zu verstehen, was es ist. Der Wille ist jedoch nicht unbedingt mit dem menschlichen Bewusstsein verknüpft. Schließlich sprechen wir auch von einem unbewussten Willen bzw. einem vom Unterbewusstsein hervorgebrachten Willen. Jeder, der einen Hund oder eine Katze hat, weiß, dass sein Haustier auch einen Willen hat, der nicht immer mit dem Willen des Besitzers korrespondiert. Inwiefern ein Hund oder eine Katze ein Bewusstsein hat, ist unklar. Das bedeutet, der Begriff des Willens ist mit der Vorstellung irgendeiner Form von Bewusstsein verknüpft und sei es auch nur ein Protobewusstsein oder ein Unterbewusstsein, also etwas, das wir als solches normalerweise noch gar nicht als Bewusstsein bezeichnen würden.

Wie kommt ein solches Protobewusstsein zustande?
Dazu gibt es einige Theorien, die jedoch eines gemeinsam haben: Es bedarf eines ausreichend komplexen Systems. Ein neuronales Netz ist so ein ausreichend komplexes System und kann potenziell so etwas wie ein Protobewusstsein hervorbringen. Doch um überhaupt funktionieren zu können, braucht jede Form eines neuronalen Netzes, ob es nun aus Silizium oder aus Kohlenstoffverbindungen besteht, so etwas wie eine Zielvorgabe, die eine Zielverfolgung ermöglicht. Diese Zielverfolgung kann als Wille interpretiert werden, wenn man die Existenz eines Protobewusstseins unterstellt. Der Wille geht also emergent aus der Tätigkeit von neuronalen Netzen hervor, ebenso wie das mutmaßliche Protobewusstsein. Beide sind konditional miteinander verknüpft. Das eine kann nicht ohne das andere existieren. Weil wir von einer Seite dieses konditionalen Verhältnisses nicht genau wissen, was es ist (Bewusstsein), wissen wir auch vom Verhältnis selbst (Wille) nicht genau, was es ist. Außerhalb dieses konditionalen Verhältnisses wird der Begriff ″Wille″ nur metaphorisch verwendet.

Was bedeutet Freiheit in diesem Zusammenhang?
Freiheit ist ein von unserem Gehirn hervorgebrachte Erfahrung, eine Art Gefühl. Alle Definitionen von Freiheit sind Rationalisierungen dieses Gefühls. Das bedeutet nicht, dass es so etwas wie Freiheit nicht gibt, es bedeutet nur – analog zu unserem Begriff von Bewusstsein – dass wir nicht genau wissen können, was Freiheit ist. Die Erfahrung von Freiheit bringt das Verstehen von Freiheit hervor. Mit anderen Worten, wir bringen etwas, von dem wir auf der kognitiven Seite nicht genau wissen was es ist (Protobewusstsein, Bewusstsein) in eine konditionale Abhängigkeit mit etwas von dem wir kognitiv wissen was es ist (Zielverfolgung). Diese konditionale Einheit von Bewusstsein bzw. Protobewusstsein und Zielverfolgung bezeichnen wir als Wille. Darüber reflektieren wir mit einem Begriff (präziser: der Rationalisierung eines Gefühls) der Freiheit. Doch dieser Begriff der Freiheit ist notwendigerweise nicht die Sache selbst, sondern ein operationalisierbar gemachtes Gefühl. Dieser Begriff der Freiheit lässt sich wunderbar auf alles Mögliche anwenden, insbesondere auch auf politische Sachverhalte, doch er versagt, wenn wir ihn auf etwas anwenden, worin er selbst zum Gegenstand wird. Dass liegt daran, dass wir in diesem Kontext auf der kognitiven Seite unseres Verstehens gar nicht genau wissen, was das ist: Freiheit. Wir können die Frage plakativ auch so stellen: Wir haben da etwas, von dem wir nicht wissen, was es ist (den Willen) und versuchen es mit etwas positiv oder negativ zu attribuieren, von dem wir auch nicht wissen, was es ist (Freiheit). Ist das nicht absurd?

Das Gedankenexperiment
Wie gezeigt, greift die Definition des Begriffs Freiheit als bloße Indeterminiertheit in Bezug auf den freien Willen zu kurz. Ein Gedankenexperiment verdeutlicht den eben dargestellten Sachverhalt:
Man stelle sich eine Versuchsperson vor, der Elektroden ins Gehirn implantiert wurden. Wer es weniger martialisch mag, möge sich die Person unter einem transkraniellen Magnetstimulator vorstellen – einer nicht-invasiven Technik, die seit Jahren in der Medizin eingesetzt wird.
Die Versuchsanordnung ist mit einem idealen Zufallsgenerator verbunden. Dieser erzeugt – durch gezielte Reizung oder Hemmung bestimmter Hirnregionen – zufällige Willensimpulse, also eine künstlich induzierte Form von Entscheidungsfreiheit. Hat die Versuchsperson nun einen zumindest teilweise „freien“ Willen? Wohl kaum. Denn die Quelle ihrer Entscheidungen liegt nicht in ihr selbst, sondern im äußeren Zufallsgenerator. Sie ist damit nicht mehr determiniert – aber auch nicht autonom. Ihre scheinbare Freiheit ist in Wahrheit eine Fremdbestimmung durch Zufall.
Analogie zu unserer Vorstellung von Zeit
Es ist wie mit unserer Vorstellung von Zeit. Zeit existiert als innere Erfahrung und deswegen weiß jeder was Zeit ist. Doch befragt nach dem Wesen der Zeit, vermag niemand eine schlüssige Antwort zu geben. Sogar die Physik tut sich damit schwer. Seit 2500 Jahren beschäftigen sich Philosophen und seit 200 Jahren auch Naturwissenschaftler mit dem Phänomen Zeit. Deshalb sind wir es gewohnt von unserem naiven Zeitverständnis Abstand zu nehmen. Unser Verständnis von Freiheit folgt aber immer noch naiven Denkmustern. So weiß jeder, was freier Wille ist (als Erfahrung), und doch weiß es niemand. Deswegen ist der Streit um die Existenz eines freien Willens ein Scheingefecht. Es ähnelt der Frage, was Gott vor der Schöpfung tat. Die Antwort liefert Aurelius Augustinus im vierten Buch seiner „Confessiones″: Er dachte sich Strafen aus für die, die so dumme Fragen stellen.

Der ultimative KI IQ-Test
Daraus lassen sich auch Schlussfolgerungen für eine künstliche Intelligenz ziehen. Der ultimative IQ-Test für eine KI ist die Frage
Hast du einen freien Willen?
. Wirklich intelligent wäre eine KI dann, wenn sie diese Frage ungefähr so beantworten würde:
Diese Frage kombiniert nicht zusammenhängende Begriffe auf eine Weise, der ich keiner Bedeutung zuordnen kann. Möchtest du, dass ich sie metaphorisch, humoristisch oder kritisch interpretiere?

Wenn eine KI so antworten würde, ohne dass man ihr das vorher dezidiert beigebracht hätte, dann wäre es allerhöchste Zeit schwer ins Grübeln zu kommen.

Ist der Mensch ein Wahrheitsvorhersagesystem – und was hat das mit Politik zu tun?

Was ist Wahrheit? Der Begriff der Wahrheit ist in der Philosophie ein weites Feld, darüber wurden schon viele dicke Bücher geschrieben. Doch keine Angst, ich definiere hier Wahrheit als das, was der Einzelne jeweils für wahr haben will. Beginnen wir auf einer ganz niederen Ebene unseres Bewusstseins. Der Mensch macht ständig Vorhersagen über das, was der Fall sei. Das fängt schon damit an, dass jemand den Lichtschalter betätigt, weil er es hell haben will. Die Vorhersage lautet hier: Lichtschalter betätigen hat Helligkeit zur Folge. Nun wird die Vorhersage ganz automatisch mit der Realität abgeglichen. Ist es hell geworden, OK, Vorhersage eingetroffen. Das Vorhersagemuster verfestigt sich. Bleibt es dunkel, werden weitere Vorhersagen getroffen: Stromausfall, Sicherung herausgesprungen, Lampe defekt. Auch diese Vorhersagen werden mit der Realität abgeglichen und so geht das weiter, den ganzen Tag, ständig. Wir merken das gar nicht, es läuft automatisch im Hintergrund ab. In der Neurowissenschaft nennt man das ″Preditive Coding″ und ist relativ gut untersucht. Wahr ist auf dieser Ebene die Vorhersage, die sich im Realitätscheck behaupten kann. Doch was ist mit abstrakteren Dingen, die keinen unmittelbaren Realitätscheck erlauben? Hier greifen Ersatzmechanismen, die allerdings weniger gut funktionieren. Solche Ersatzmechanismen können sein: Persönliche Erfahrungen oder geschichtlich vermittelte Erfahrungen, zum Beispiel weiß jeder – oder sollte es zumindest wissen – dass kommunistische und nationalsozialistische Ideen üble politische Konsequenzen haben können. Aber auch tief sitzende moralische oder religiöse Überzeugungen können hier eingreifen – manchmal zu recht und manchmal zu unrecht. Bei vollkommen abstrakten Dingen, wie der Mathematik oder der Logik wurden interne Regeln erkannt, diese können dann angewandt werden, insofern man entsprechend geschult ist. Das funktioniert dann wieder ziemlich gut. Die Neurowissenschaften geben uns starke Hinweise darauf, dass das menschliche Gehirn auch auf abstrakteren Ebenen in dieser Weise wie eine Wahrheitsvorhersagemaschine funktioniert. Bekannte neurowissenschaftliche Forscher auf diesem Gebiet sind zum Beispiel Antonio Damasio oder auch Karl Friston.
Eine künstliche Intelligenz arbeitet übrigens so ähnlich: Sie bestimmt anhand ihrer Trainingsdaten mithilfe statistischer Mustererkennung, was in diesem Sinne wahrscheinlich wahr ist. Diese ‚Realität‘ besteht für die KI allerdings immer nur aus gespeicherten oder online recherchierten Daten – sie besitzt keinen direkten Zugang zur Wirklichkeit selbst.
Doch was hat das mit Politik zu tun? Nun, so gesehen können wir zum Beispiel eine politische Ideologie als Halluzination definieren. Eine Halluzination ist in der KI – Welt etwas, das die KI vorhersagt, aber keinem Realitätscheck unterliegt. Der menschliche Ideologe dreht frei und produziert am laufenden Band ″Wahrheit″, aber ohne Realitätsüberprüfung. Ideologisches Denken ist sehr gefährlich, man könnte meinen, es hat mehr Unheil über die Menschen gebracht, als die Pest und die Cholera zusammengenommen. Welche Forderungen müssen wir nun an das menschliche politische Denken stellen, um das zu adressieren? Ganz unterbinden wird man die Fallstricke des Denkens wohl nicht können.
Zum einen ist selbstverständlich die Realitätsprüfung immer einzufordern, wo immer und so oft es geht. Zum Beispiel hätten die angehenden Marxisten zunächst eine bestimmte Forderung erheben müssen: Nämlich dass die Behauptung, dass das menschliche Bewusstsein Produkt der Produktionsverhältnisse ist, einer empirischen Prüfung zu unterziehen sei. Dann wäre uns viel erspart geblieben. Es gibt manchmal aber auch einen anderen Weg. Erinnern wir uns an die Mathematik und die Logik, Die kommen auch ohne empirische Prüfung aus, weil sie internen Regeln folgen. Es kommt nun darauf an, solche internen Regeln für das politische Denken zu finden. Ich meine völlig abstrakte Regeln, frei von jeglicher Weltanschauung. Ja, die gibt es und ich glaube solche gefunden zu haben. Die erste Regel erfüllt die Aufgabe ganz gut. Sie ist frei von jeglicher Weltanschauung und sie ist kategorisch. Das bedeutet, sie gilt immer, ohne Ausnahme. Allerdings kann sie nur Falsches erkennen, sie kann nicht sagen: Das ist richtig. Und was nicht falsch ist, muss noch lange nicht richtig sein. Aber das ist immerhin doch schon mal was. Die anderen Regeln sind hypothetisch, dass bedeutet, sie gelten nicht immer, aber doch meistens. Außerdem sind sie weltanschaulich nicht ganz neutral, aber fast.
Bevor ich zu der besagten ersten kategorischen Regel komme, noch ein paar Worte zur zweiten Regel. Ich habe diese bereits formuliert und angewandt. Die zweite Regel besagt, dass alle politischen Forderungen in klarer, verständlicher Sprache mit Hilfe logisch und sachlich geklärter Begriffe empirisch evident begründet sein sollen. Das geht nicht immer, aber da wo es möglich ist soll man das tun. Alles, was politisch im weitesten Sinne daherkommt und das nicht tut, obwohl es möglich ist, soll man eher skeptisch betrachten. Angewandt habe ich diese Regel auf meine eigenen politischen Einlassungen hier, indem ich diese neurowissenschaftlich eingebettet habe. Die Neurowissenschaften ihrerseits arbeiten auf empirischer Grundlage.
Doch nun zur ersten kategorischen Regel. Diese ist ziemlich abstrakt und nicht leicht zu verstehen. Die Kurzfassung geht so:
Aus logischen Gründen kann es nur drei absolute ideelle Prinzipien geben: Gott, Vernunft und Wille. „Absolut“ bedeutet in diesem Zusammenhang „uneingeschränkt durch anderes“.
Die uns erscheinende Welt ist vielfältig und in sich widersprüchlich. Etwas kann von uns nur gedacht oder wahrgenommen werden, wenn es etwas anderes nicht ist. Deshalb ist es schwierig, etwas zu finden, das auf ″alles″ passt. Inhaltsleere Prinzipien wie z. B. ″Sein″ scheiden aus, da von ihnen nichts Inhaltliches abgeleitet werden kann, auch wenn manch anderer das Gegenteil behauptet. Doch für genau drei Prinzipien gilt das nicht. Das erste Prinzip ist Gott. Gott wird als ein absolutes einheitliches und unendliches Wesen gedacht. Da Gott reine Einheit ist und keine Widersprüche an sich zulässt, ist Gott allumfassend, er ist immer und überall. Da er reine Einheit ist, können wir ihn nicht direkt erkennen, da wir, wie ausgeführt, nur etwas erkennen können zu dem es etwas gibt, was es nicht ist. Der Begriff „Gott“ ist jedoch nicht inhaltsleer, er bekommt seinen Inhalt durch das, was in den jeweiligen Religionen und Philosophien über ihn gedacht wird. Das Prinzip Gott hat im politischen Raum eine große Bedeutung. Gottesstaaten und Staaten von Gottes Gnaden sind deswegen relativ stabil, sie hielten sich im Abendland immerhin vom Frühmittelalter bis in die mittlere Neuzeit und es gibt sie auch heute noch im islamischen Raum.
Kommen wir zum zweiten Prinzip. In den westlichen Ländern, dem sogenannten ″Abendland″, hat man sich aus guten Gründen im Zuge der Aufklärung entschieden dem absoluten Prinzip „Gott“ nicht mehr zu folgen, und stattdessen das Prinzip „Vernunft“ als absolut zu setzen. Die Vernunft hat die Fähigkeit zur Selbstbeschränkung, sie ist als einziges menschliches Vermögen fähig, sich selbst zu kritisieren. Die Vernunft kann aus sich selbst heraus urteilen, sie kann sich aus bestimmten Bereichen ganz heraushalten, sie weiß aus sich selbst heraus um ihre eigenen Unzulänglichkeiten, die Vernunft begrenzt sich selbst. Die Vernunft ist auch universell, denn jeder Mensch hat dieselbe Vernunft, wenn auch inhaltlich verschieden ausgeprägt. Die Vernunft hat einen Inhalt in dem, was jeweils gedacht wird. Die Vernunft taugt somit als absolutes Prinzip. Im Zuge der Renaissance und erst recht der Aufklärung vollzog die westliche Kultur eine dramatische Änderung ihres politischen Selbstverständnisses und ihrer politischen Organisationsstruktur, indem sie das absolute Prinzip Gott durch das absolute Prinzip Vernunft ersetzte. Das dritte Prinzip, den Willen, lassen wir jetzt mal weg, das kommt in einem späteren Video.
Was bedeutet das jetzt konkret? Wenden wir diese Regel auf ideologisches Denken an. Nehmen wir mal den Marxismus. Er setzt gleich zwei Prinzipien quasi absolut. Einmal, behauptet er ein Prinzip, das weltgeschichtlich notwendigerweise zum Kommunismus führen soll. Dieses Prinzip, das ich hier als dialektischen Materialismus bezeichne, hat Marx von Hegel übernommen. Hegel nennt seine ″Entdeckung″ den ″universalen Weltgeist″. Absolut ist dieses Prinzip, weil es uneingeschränkte Gültigkeit für sich beansprucht, Zufall, menschliches Handeln usw. spielen nur eine untergeordnete Rolle, sie regeln nur die Details, aber nicht die Sache an sich. Zum zweiten behauptet der klassische Marxismus, der Mensch sei ausschließlich Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse und damit beliebig formbar. Auch hier sehen wir wieder eine Absolutsetzung eines Prinzips, dass sich dafür gar nicht eignet. Der Ausgang dieser Ideologie ist bekannt. Es gibt aber auch neuere Beispiele: Michel Foucault ist eine zentrale Figur des Poststrukturalismus und hatte einen großen Einfluß auf die politische Linke. Sein absolutes Prinzip, nämlich dass ″alles″ durch Machtverhältnisse bestimmt sei, trägt in der Folge zu den Absurditäten von Wokeness, Gender-Mainstreaming, Postkolonialismus usw. bei. Es ist nun wohl so, dass absolute Prinzipien politischen Weltanschauungen und Ideologien ein hohes Durchsetzungspotential verleihen. Diese enden dann, insofern sie nicht auf Gott, Vernunft oder Wille basieren, in einer Tragödie oder in einer Farce. Natürlich kann auch etwas, dass sich auf Gott, Vernunft oder Wille beruft, unglaublich schiefgehen. Wie gesagt, die erste Regel sagt nicht ″Etwas ist richtig″, sie sagt nur ″Etwas ist falsch″. Man kann am Beispiel des Nationalsozialismus auch sehen, dass die erste Regel nur bei systematisch gedachten Ideologien greift. Der Nationalsozialismus war im Gegensatz zum Marxismus eine plumpe emotional gesteuerte Ideologie ohne philosophischen Überbau. Er war ein grober Klotz, gegen den ein Seziermesser, wie die erste kategorische Regel wenig ausrichten kann.
Zusammengefasst: Wenn wir politisch besser denken wollen, sollten wir unsere Überzeugungen ständig kritisch mit der Realität überprüfen, also Realitätschecks durchführen und – wo immer möglich – klare interne Regeln beachten. Damit schützen wir uns vor den schlimmsten Auswüchsen ideologischen Denkens.

Was ist politisch "rechts", was ist "links"?

Die Begriffe ″rechts″ und ″links″ gehen auf die französische Nationalversammlung zurück. Diese tagte von 1789 bis 1791. Rechts vom König saßen diejenigen, denen der König eher gewogen war. Auch interkulturell gesehen, ist die rechte Seite meistens die ″bessere″ beziehungsweise die bevorzugte Seite. Vielleicht hat das damit zu tun, dass die meisten Menschen Rechtshänder sind. Auf der rechten Seite saßen zum Beispiel die Monarchisten, also diejenigen, die alles beim alten belassen wollten. Man könnte auch sagen, die Konservativen. Die damaligen ″Rechten″ betonten die natürliche Ungleichheit der Menschen, die als Begründung für den damals existierenden Ständestaat herhalten musste. Auf der linken Seite saßen diejenigen, die die Verhältnisse ändern wollten, also die ″Progressiven″. Ganz links saßen die Jakobiner, die später, als sie an die Macht gelangten, exzessiv von der Guillotine Gebrauch machten. Die ″Linken″ propagierten die Gleichheit aller Menschen. Da die Menschen aber offensichtlich ungleich sind, also mit unterschiedlichen geistigen und körperlichen Fähigkeiten ausgestattet sind, behaupteten
die Linken, dass diese erscheinende Ungleichheit nicht naturbedingt sei, sondern durch gesellschaftliche Einflüsse verursacht würde. Je weiter links die jeweilige Fraktion saß,desto radikaler wurde der letztgenannte Punkt vertreten. Die Linkssitzenden hielten es auch eher mit Rousseau, der der Ansicht war, dass alle Menschen von Natur aus gut seien und sie nur durch gesellschaftliche Einflüsse schlecht würden. Die Rechtssitzenden waren eher vom Gegenteil überzeugt und waren mehr den Ansichten Thomas Hobbes zugeneigt. Dieser sagte – jetzt mal stark verkürzt ausgedrückt – dass die Menschen von Natur aus
schlecht wären und sie deswegen das Gewaltmonopol über einen Gesellschaftsvertrag an einen Souverän abtreten sollten. Dieser Souverän konnte nach Hobbes übrigens auch ein Parlament sein.
Wie ist nun meine eigene Meinung zu diesem Thema? Nun ich denke – sehr verkürzt ausgedrückt – dass die meisten Menschen von Natur aus gut sind, einige eher weniger gut und eine kleine Minderheit wirklich böse ist. Das Problem ist jedoch, dass die kleine Minderheit der bösen Menschen es ständig und immer wieder schafft, die Guten vor ihren Karren zu spannen, indem sie ihnen vorgaukelt das Gute zu wollen. Wie ich das genau meine und was man dagegen tun kann, habe ich in meinem Buch ″Die
Wurzeln des Politischen″ dargelegt.
Doch zurück zum Thema. Linke und rechte Weltanschauungen haben beide ihre Abgründe. Beginnen wir mit den Rechten. Im milden Fall wurde die behauptete natürliche Ungleichheit der Menschen als Begründung für den Ständestaat angeführt. Der Mensch wurde in einen bestimmten Stand hineingeboren und sollte dann das Beste daraus machen. Soziale Mobilität war zwar
möglich, aber eher die Ausnahme. Der Ständestaat scheint einen gewissen interkulturellen Hintergrund zu haben, man denke zum Beispiel nur an das indische Kastenwesen. In weniger milden Fällen, wurde eine natürliche Ungleichheit behauptet, um radikale
Ausbeutung oder sogar Vernichtung von Menschen zu rechtfertigen, weil diese eben minderwertig – also ungleich - seien und so weiter. Die Geschichte ist hinlänglich bekannt, ich muss das hier nicht weiter ausführen.
Nun zu den Linken. Die Menschen sind dem Augenschein nach offensichtlich ungleich, doch diese Ungleichheit soll gemäß linken Denkens nicht an ihnen selbst liegen, sondern den gesellschaftlichen Verhältnissen oder den Produktionsverhältnissen geschuldet sein. Eine moderne Variante besagt auch, dass die Wertschätzung, also ob eine Eigenschaft als positiv oder negativ zu bewerten ist, möglichst zu unterlassen ist. Wenn man das tut, sind auch alle gleich. Okay, das ist jetzt ein bisschen plakativ ausgedrückt, aber ich kann hier auch keine zu langen Vorträge halten. Damit greifen die radikalen Linken aber ein zentrales Element der westlichen Zivilisation an: Das Individuum. Karl Marx selbst wollte das gar nicht. Im Gegenteil, in seinem kommunistischen Utopia sollte sich das Individuum in gewisser Weise selbst verwirklichen: ″Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!″. Nur ist es leider immer anders gekommen. Das Heilsversprechen der frühen radikalen Linken kehrte sich in sein Gegenteil um, sobald diese das Sagen hatten. So erfanden die Jakobiner den großen Terror, den Josef Stalin, Pol Pot, Mao
Zedong und andere weiterführten. Wenn es auf den Einzelnen überhaupt nicht ankommt, weil seine individuellen Eigenschaften sowieso nicht seine eigenen sind, sondern bourgeoise Überreste sind, die es zu eliminieren gilt, dann ist es auch egal ob der
Einzelne im Sinne des Regimes schuldig ist oder nicht. So wurden Menschen massenweise, deportiert, inhaftiert, hingerichtet in Konzentrationslager gesperrt und so weiter. Man schätzt, dass im Namen des Kommunismus über 100 Millionen Menschen zu
Tode kamen und noch viel mehr unter sozialistischen oder kommunistischen Regimen unsäglich gelitten haben und auch heute noch leiden. Das ficht die radikalen Linken natürlich nicht an, es mangelt ihnen massiv an Selbstreflexion.
Doch wie kann man das Problem der Gleichheit oder Ungleichheit lösen? Die ″bürgerliche″ Antwort – zu der ich mich auch selbst bekenne – lautet: Formale Gleichheit. Das bedeutet zum Beispiel, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind. So steht es auch im Grundgesetz Artikel 3. Formale Gleichheit bedeutet, dass für den Staat alle Menschen gleichviel wert sein sollen. Für den Einzelnen gilt das nicht, schließlich sind zum Beispiel nahe Angehörige oder enge Freunde dem Einzelnen emotional wertvoller als Fremde. Dasist nur menschlich. Doch auch die formale Gleichheit stößt in der Praxis an ihre Grenzen. Das erleben wir am Beispiel der Migrationskrise. Der universelle Anspruch der Gleichheit aller Menschen - und sei es auch nur die formale Gleichheit - funktioniert nur bei schönem Wetter. Sie deswegen aufzugeben – wie manche rechten Denker es verlangen - ist aber
auch keine gute Idee. Meiner Ansicht nach liegt die Lösung in der Kunst die Dinge politisch so zu gestalten, dass möglichst alle von der Ungleichheit profitieren. Also, gönnt den Reichen ihren Reichtum und schaut zu, dass die weiter unten auch nicht zu kurz kommen!

Dieser Text ist auch als Video verfügbar: https://youtu.be/3Md4ja6txhs

Copyright © Hansjörg Pfister, 2025

Bürokratie und Dekadenz

Es ist schon viel Richtiges und Halbrichtiges über die Bürokratie gesagt worden. Zu dem Richtigen gehört – erstens - die Feststellung, dass es ohne ein Minimum an Bürokratie nicht geht und – zweitens – dass selbst ein Übermaß an Bürokratie nur durch Disruption und niemals durch langsame Reformen auf ein vernünftiges Level gebracht werden kann, andernfalls nimmt die Bürokratie trotz aller Lippenbekenntnisse immer weiter zu.

Der politische Pathologe kennt drei Arten von Bürokratie:
1. Die lästige aber gutartige Bürokratie. Ihr Hauptmotiv liegt in der Produktion von Verlässlichkeit, auch wenn sie nur verlässlich denselben Unsinn produziert, wenigstens darauf kann man sich verlassen. Sie wird geschätzt, weil sie in einer unsicheren Welt, Unsicherheit reduziert. Schließlich erfordern offene Situationen ständiges Abwägen, wohingegen bürokratische Regeln sofortige Antworten liefern. Weiter aktivieren Ungewissheiten Angstzentren im Gehirn, während feste bürokratische Prozeduren angstlösend wirken, so wie eine Packung Valium. Alles verläuft in geordneten Bahnen, das ist sehr beruhigend. Diese Art der Bürokratie zeichnet sich durch eine Mischung aus Rechtsförmigkeit, Rechtsstaatlichkeit und meritokratischer Rekrutierung (die Besten sollen zum Staat) aus. Rechtsförmig heißt hier: formsicher, aber nicht zwingend grundrechtsgebunden; rechtsstaatlich bedeutet: form- und inhaltstreu gegenüber Grundrechten. Das Paradebeispiel für eine solche rechtsförmige Bürokratie ist der preußische Staat bis zum Jahre 1918. Ein Beispiel für eine rechtsstaatliche Bürokratie ist Deutschland bis etwa zum Jahre 2008. Danach zeigte sich mit der Euro-Rettung, der Griechenlandhilfe und spätestens mit der Grenzöffnung von 2015, dass rechtsstaatliche Prinzipien im Zweifel politischer Opportunität zum Opfer fallen.
2. Die bösartig-effiziente Bürokratie
Die Eigenverantwortlichkeit des Einzelnen wird hier auf ein abstraktes System von Regeln, Verfahren und Normen abgewälzt. Die bürokratischen Vernichtungssysteme des NS-Regimes und Stalins waren hinsichtlich ihres Primärzwecks, der Vernichtung und Ausbeutung von Menschen, schrecklich erfolgreich. Sie waren in ihrer unvorstellbaren Grausamkeit deshalb so erfolgreich, weil sie dem Einzelnen ermöglichten, sich nicht für sein Tun verantwortlich zu fühlen. Man befolgte ja nur Regeln, Gesetze und Dekrete, verfuhr wie einem geheißen und war schließlich nur ein Rädchen in einem mörderischen Getriebe. Verantwortung trägt in einem solchen bürokratischen System letztendlich niemand.
3. Die dekadente Bürokratie
Diese Form der Bürokratie ist Ausdruck einer dekadenten politischen Klasse. Ich zitiere hier aus meinem Buch ″Die Wurzeln des Politischen″:

″Die Dekadenz dagegen ist strukturell entscheidungsvermeidend. Sie kennt keine Katastrophe, sondern ein fortschreitendes Abflachen. Ihre Strategie ist das Verschieben, das Ausweichen, das Moralisieren anstelle des Urteilens. Sie will keine Konfrontation mit der Wirklichkeit, sondern Narrative, die diese überdecken. In der Dekadenz wird nicht gestritten im Sinne von diskutieren, sondern beschwichtigt oder diffamiert. In einem westlich geprägten modernen Staat läuft der Apparat weiter, aber sein innerer Zweck wird vergessen – oder in seiner Umkehrung weiterbetrieben. Der Verfassungsschutz schützt nicht mehr die Verfassung, sondern diejenigen, die sie aushöhlen. Die Judikative schützt nicht mehr das Recht, sondern jene, die das Recht für ihre Zwecke missbrauchen. Die Exekutive hat einen Plan, doch der besteht ausschließlich im eigenen Machterhalt. Die Legislative kontrolliert nicht die Exekutive, sondern folgt ihr. Die „Publikative“ kritisiert nicht mehr die Mächtigen, sondern Kritiker der Mächtigen. Die Wissenschaftselite urteilt nicht mehr nach dem Stand der Wissenschaft, sondern danach, was politisch von ihr gefordert wird. Die NGOs sind nicht mehr „Non-Govermental“, also staatsfern, sondern sind zu staatlichen Vorfeldorganisationen mutiert. Die Kirchen predigen nicht mehr das Wort Gottes, sondern reden dem Zeitgeist das Wort. Die Verwaltung kümmert sich weniger um das reibungslose Funktionieren des Staatsapparates, sondern funktioniert mehr als Zweck ihrer selbst. Die Abgeordneten sind nicht mehr allein ihrem Gewissen verpflichtet, sondern gewissenhaft gegenüber ihrer Partei loyal. Rituale und Gedenkfeiern finden immer noch statt, doch sie sind ihrer inneren Bedeutung entleert. Die Dekadenten mögen sich nach außen hin für die Allerbesten halten, doch tief in sich drin fühlen sie die Dekadenz und sie verachten sich deswegen insgeheim gegenseitig. Diese Verachtung wird auf den Staat und das Staatsvolk projiziert. Das ist keine neue Entwicklung, so wird beispielsweise kolportiert, dass Kaiser Caligula sein Lieblingspferd zum Konsul ernennen lassen wollte. Diese spezifische Verachtung ist einer der Gründe, warum wichtige Posten in staatlichen Institutionen und staatsnahen Unternehmen nicht mehr nach Befähigung und Kompetenz vergeben werden, sondern oftmals von Personen besetzt sind, die sich dafür gar nicht eignen. Ein anderer Grund besteht darin, dass man bestimmten Leuten, denen man sich aus irgendeinem Grund verpflichtet fühlt, Gutes widerfahren lassen will. Die Unfähigkeit und Inkompetenz dieses Personals unterminiert die Funktionalität des Gemeinwesens weiter.″

Diese Form der Bürokratie definiert sich über ihre Dysfunktionalität, sie schafft mehr statt weniger Unsicherheit. Das Positive an der gutartigen Bürokratie, also ihre angstbefreiende Wirkung (der Staat kümmert sich zuverlässig um alles, was wichtig ist), kehrt sich in sein Gegenteil um. Deswegen muss ein Staat mit solcher Bürokratie immer repressiver werden. Die normalen Bürger sollen mehr Angst vor ihm haben als vor realen Bedrohungen. Nur so lässt sich der Laden noch zusammenhalten.

Psychologie der Dekadenz
Warum wird ein Staatswesen dekadent?
Das liegt daran, dass die den Staat tragenden Eliten innerlich entkernt sind. Sie glauben an nichts mehr, sie tragen keinerlei Prinzipien in sich auch wenn sie äußerlich andauernd in hohem moralischem Pathos das Gegenteil behaupten. Es zählt nur noch der eigene unmittelbare persönliche Vorteil. Modern gesprochen, sie sind innerlich dekonstruiert. Das kann entweder zu einem langsamen Siechtum oder zu einem schnellen unvorhergesehenen Kollaps führen. Es kann aber auch – und das ist die Hoffnung – auf einen Epochenwechsel hindeuten. Alle drei Szenarien schließen sich gegenseitig keineswegs aus. Zur Frage des möglichen Epochenwechsels, möchte ich auf mein Buch verweisen: Die Wurzeln des Politischen.

Disclaimer: Das sind alles nur theoretische und fiktionale Gedanken, die mit realen Verhältnissen nichts zu tun haben. Ich will morgens ausschlafen können.

© Hansjörg Pfister, 2025